Rassehunde-Zucht auf dem Prüfstand

Rezension: Geschundene Gefährten von Prof. Dr. Achim Gruber
von Beate Soltész
Prof. Dr. Achim Gruber, Tierpathologe und Autor des erfolgreichen Buches Das Kuscheltierdrama knüpft in seinem neuen Werk Geschundene Gefährten nahtlos an die kritische Auseinandersetzung mit der Beziehung zwischen Mensch und Tier an. Während sein erstes Buch vor allem die Dissonanz zwischen Tierliebe und tatsächlichem Tierleid thematisierte, widmet sich Gruber nun einem besonders heiklen Thema: den gravierenden Missständen in der „Produktion“ von Hund und Katz. Der Autor beleuchtet mit wissenschaftlicher Präzision und emotionaler Tiefe die Folgen von Qualzuchten sowie die grundsätzlichen Probleme der Rassehunde-Zucht.
Qualzuchten – Das Leiden als Schönheitsideal
Ein Hauptfokus des Buches liegt auf den sogenannten Qualzuchten, die er übrigens „Defektzuchten“ nennt – Ziel dieser Zuchtpraxis wäre nicht die Qual des Tieres, sondern die Produktion von Defekten. Hier beschreibt Gruber eindringlich, wie extreme Zuchtziele, die menschliche Vorlieben befriedigen, das Leben der betroffenen Tiere schwer beeinträchtigen. Hunde mit extrem verkürzten Schnauzen, wie Möpse oder Französische Bulldoggen, sind dabei nur ein Beispiel. Ihre durch Überzüchtung verursachten Atemprobleme führen zu einem Leben voller Qualen – ein Leben, das oft mit chirurgischen Eingriffen verlängert werden muss. Überlange Ohren beim Basset Hound, extremer Faltenwurf beim Shar Pei oder Stummelbeinchen beim Dackel, die dadurch zu Bandscheibenproblemen neigen, sind ähnliche Auswüchse dieser Defektzuchten. Ähnlich alarmierend ist die Situation bei Katzen wie beispielsweise die Scottish Fold, die aufgrund genetisch bedingter Knorpeldefekte nicht nur faltige Ohren (Hängeohren!), sondern auch schmerzhafte Gelenkprobleme entwickeln, oder Kaninchen mit extrem verkürzten Köpfen, die nicht mehr artgerecht kauen können.
Gruber macht deutlich, dass diese Entwicklungen nicht zufällig sind: Sie sind Ausdruck eines Systems, das den Bedürfnissen der Tiere nach Gesundheit und Wohlbefinden systematisch die Priorität entzogen hat, um dem ästhetischen Geschmack des Menschen gerecht zu werden. Besonders kritisch sieht er dabei die Rolle der sozialen Medien und der Werbung, die solche „niedlichen“ oder „exotischen“ Tiere glorifizieren und damit die Nachfrage nach Qualzuchten steigern. „Alles Leid wird ausgeblendet und schöngeredet“, so der Autor.
Rassehundezucht – Zwischen Tradition und gesundheitlichen Schäden
Neben den Qualzuchten setzt sich Gruber intensiv mit der Rassehundezucht auseinander. Hier schildert er die Spannungsfelder zwischen einer jahrhundertealten Tradition, die mit Stolz und Liebe gepflegt wird, und den massiven gesundheitlichen Problemen, die durch enge Zuchtlinien, enge Rassestandards und geschlossene Zuchtbücher entstehen. Besonders eindrucksvoll legt er dar, wie die strikte Verfolgung von Rassemerkmalen – von der Form der Ohren bis zur Farbe und Art des Fells – nicht nur die genetische Vielfalt einschränkt, sondern auch das Risiko für Erbkrankheiten erheblich erhöht. Gruber: „Die Wissenschaft kennt mehr als achtzig Krankheiten und Leiden bei Hunden, die in ursächlichem Zusammenhang mit äußeren, erwünschten Zuchtmerkmalen stehen.“
Gruber plädiert dafür, Rassehundezucht zu überdenken und sich von traditionellen Rassebildern zu verabschieden: denn in nur wenigen Generationen, so der Autor, ließe sich „eine ganze Reihe von wirklich schlimmen Leiden weitgehend aus der Welt schaffen, wenn die sogenannten Rasseliebhaber bereit sind, sich von manchen althergebrachten äußerlichen ‚Werten‘ zu verabschieden.“ Er fordert weiters nicht nur Gesundheitsprüfungen, Öffnung der Zuchtbücher für mehr Diversität in der Zucht sowie eine strengere Gesetzgebung, sondern eine moralische Wende aller, die er als „Pet Turn“ beschreibt.
Der „Pet Turn“ – Eine Wende im Denken
Mit dem Begriff des „Pet Turn“ skizziert Gruber eine tiefgreifende Veränderung der Beziehung zwischen Mensch und Tier. Er plädiert dafür, den Blick auf den „Nutzwert“ von Haustieren grundlegend zu hinterfragen. Der „Pet Turn“ soll die Beziehung zum Tier humaner und respektvoller machen. Dabei geht es vor allem um eine gesellschaftliche Debatte über die Verantwortung jedes/jeder Einzelnen. Für Gruber ist der Schlüssel eine grundlegende Sensibilisierung: Menschen sollen sich fragen, ob sie wirklich bereit sind, die Bedürfnisse eines Tieres zu respektieren – oder ob sie ihre eigenen Wünsche über das Wohl der Tiere stellen.
Fazit
Geschundene Gefährten ist ein mutiges und mitreißendes Buch, das nicht nur die Missstände in der Tierzucht offenlegt, sondern auch eine ethische Diskussion über unsere Verantwortung gegenüber Haustieren anstößt. Gruber verbindet wissenschaftliche Expertise mit eindringlicher Sprache, die trotz der Komplexität des Themas gut verständlich ist, und appelliert an das Mitgefühl und die Vernunft seiner Leser/innen. Der „Pet Turn“ ist dabei mehr als nur ein Konzept – er ist eine Einladung, die Beziehung zu unseren Tieren grundlegend zu verändern.
Dieses Buch ist ein Muss für alle, die sich ernsthaft mit dem Wohl von Tieren beschäftigen möchten, und ein Weckruf für eine dringend notwendige gesellschaftliche Wende.
Prof. Dr. Achim Gruber
Geschundene Gefährten.
Über Irrwege in der Rassezucht und unsere Verantwortung für Hund und Katze
288 Seiten, 22,50 €
Droemer Verlag


Beate Soltész
ist seit 15 Jahren mit Leib und Seele Hundetrainerin und Hundepsychologin unter diesem Label: Traumhund. (Wobei sie mittlerweile findet, dass unsere Hunde sowieso Traumhunde sind und wir uns eher bemühen sollten, für sie die Traummenschen zu sein!)